Picasso im Wohnzimmer

Sie hätten gern ein Gemälde von Picasso oder Miró im Wohnzimmer hängen? Sie denken, Sie können sich das nicht leisten? Irrtum: In der Artothek der Stadt- und Landesbibliothek gibt es die große Kunst für kleines Geld.

Was man halt so unterm Arm trägt, wenn man aus der Stadt kommt: Bei Bernd Lerp war es ein Druck des spanischen Malers Miró. Eines mit dem Titel „Ohne Titel“ zwar – immerhin aber ein Original. Für drei Monate zierte es das Wohnzimmer des Bochumers, danach fand es wieder den Platz in der Ausleihe der Artothek. Die Kunstecke im 1. Obergeschoss der Stadt- und Landesbibliothek nennt 1.400 Gemälde, Graphiken, Fotografien, Collagen und Skulpturen teils namhafter Künstler ihr eigen.

Gemälde in einer Ausstellung

Im Laufe von fast 40 Jahren angeschafft, um, wie Leiter Markus Lohmann sagt, „breiten Bevölkerungsschichten den Zugang zur bildenden Kunst zu ermöglichen“. Große Kunst für kleines Geld. Bernd Lerp jedenfalls ist begeistert. „Einen echten Miró kann ich mir sonst nicht leisten“, meint er. Mitarbeiterin Heike Adrian nimmt das sorgsam verpackte Bild entgegen. Sie wird es später wieder einsortieren. Jetzt ist erstmal Mathias Gläser da, wie Lerp bereits seit Jahren ein Kunde der Artothek. Er bringt die Bronzeskulptur „Mädchen mit Zopf“ des Bildhauers Waldemar Wien zurück und ist noch unschlüssig, welches Kunstwerk er für das nächste Vierteljahr mit nach Hause nehmen soll. 2,50 Euro kostet das Ausleihen eines Exponats für drei Monate, hinzu kommt noch eine Versicherungsgebühr in Höhe von einem bis fünf Euro. Maximal also 7,50 Euro für ein Vierteljahr. Und schon kann ein Picasso, ein Vasarely, ein Dali, Hundertwasser oder Grass den Weg in die eigenen vier Wände finden. „Für solch einen kleinen Obolus kann man sich häufiger mal was Neues gönnen – und sich immer wieder neu begeistern“, stellt Gläser fest. Die kunstinteressierte Familie liebt die immer wechselnden Anregungen, die Zwiesprache damit: „Wir gehen nicht einfach an den Werken vorbei.“

Die Skulptur des 1994 verstorbenen Dortmunder Künstlers Waldemar Wien soll ein Beispiel dafür sein, dass sich die Artothek ebenfalls um lokale Künstler kümmert. Etwa die Hälfte der Sammlung machen sie aus. Die Artothek unterstützt sie mit dem Ankauf der Werke, macht sie mithilfe der Ausleihe bekannter. Was angekauft wird, entscheide man gemeinsam mit der Direktion der Stadt- und Landesbibliothek. Ob sich die Leute beispielsweise Bilder ausleihen, weil sie sich wirklich damit auseinandersetzen wollen, oder ob sie schlicht ihr Wohnzimmer damit aufwerten möchten, ist für Markus Lohmann zunächst zweitrangig. „Da passiert automatisch etwas“, ist er sicher, „auch, wenn sie nur zu dekorativen Zwecken ausgeliehen werden. Denn wenn die Kunden grundsätzlich desinteressiert wären, würden sie gar nicht erst kommen.“ Für maximal ein halbes Jahr kann man die Werke borgen. Aber nur unter der Voraussetzung, dass sich nach drei Monaten noch kein anderer Interessent gemeldet hat. Länger als sechs Monate allerdings nicht. Adrian: „Dann muss das Exponat zurück, damit auch andere eine Chance bekommen.“

Es besteht die Möglichkeit, im Internet nachzuschauen, welche Werke in der Artothek versammelt sind, einen echten Eindruck davon kann man sich allerdings nur bei einem Besuch im Botta-Bau am Max-von-der-Grün-Platz machen. Stöbern ist während der Öffnungszeiten von zehn bis 19 Uhr jeweils dienstags und frei-tags erlaubt. Man greift in die Hängeschränke, zieht die Fächer heraus und ist sofort im Zwiegespräch mit Farben und Formen. Manchmal ist es die Prominenz eines Künstlers, mitunter aber auch der Aufforderungscharakter, die Aussage eines Werkes, die einen augenblicklich interessieren. Allerdings offenbart sich die Tiefe eines Objekts nicht immer beim ersten Anblick. „Sich ein Bild auszuleihen“, findet Lohmann, „geht über einen Museumsbesuch hinaus, weil man sich über einen längeren Zeitpunkt damit auseinandersetzen kann.“ Manchmal muss man sich den Zugang auch erarbeiten. „Kunst ist eine fortwährende Inspirationsquelle“, findet er. Im Übrigen nicht nur für daheim, sondern auch für das Büro, sagt Heike Adrian: „Die meisten sind zwar Privatkunden, wir haben aber auch Anwaltskanzleien und Arztpraxen in unserer Adressenliste.“ Dass Kunstwerke mal beschädigt zurückkämen, passiere alle paar Monate. Nichts Schlimmes in der Regel, mal sei es der Rahmen, mal das Glas, was es zu reparieren gelte. Aber aufpassen müsse man schon, mahnt sie, „das sind schließlich keine Poster – das sind signierte Werke“.

Eine Dame kommt mit ihrem Sohn in die Ausstellung. Sie bleiben vor einigen Bildern stehen, sprechen darüber. Ob der junge Mann sich denn vorstellen könne, sich die Bilder für Zuhause auszuleihen, lautet die Frage. „Nee, eher nicht“, meint er, „für das Abholen und Hinbringen alle drei Monate wäre ich wohl zu faul.“ Auch eine Form der ehrlichen Auseinandersetzung mit der Kunst. Dabei organisiert die Artothek den Hol- und Bringdienst vorbildlich, indem sie neben dem Haupteingang zur Bibliothek einen kleinen Parkplatz für die Kunden zur Verfügung stellt. Man muss also mit dem Picasso unterm Arm nicht noch 20 Minuten zu Fuß gehen. Dass die Artothek den Transport nicht übernimmt, sei eine Frage der Rechte, der Kunde müsse das selber übernehmen. Dies zu organisieren, würde das Ausleihen überdies nur teurer machen.An der Wand lehnt ein Bild von Günter Grass, der neben seinem literarischen Werk auch ein um-fangreiches bildnerisches hinterlassen hat. „Es heißt „Meine Schuhe“ und ist von 1975. Daneben das Bild „Buopal III“ des französischen Ma-lers und Grafikers Victor Vasarely, schließlich ein Druck Dalis mit dem Titel „Der Traum der roten Rose“ sowie Picassos „Der Tanz“, signiert am 25. Juli 1961. Bilder, die verschiedene Stilrichtungen, Epochen, Leben dokumentieren. Und Moden? „Es gibt auch in der Kunst Moden“, bestätigt Heike Adrian. Es gehe derzeit in Richtung großforma-tiger und abstrakter Bilder, die Phase der Holzschnitte sei eher vorbei. Und Fotografien seien gefragt, fügt Lohmann an. Wie zur Bestätigung fällte der Blick auf eine Fotografie von Robert Lebeck. Sie zeigt die immer traurig-glückliche Romy Schneider.

Etwa 2.500 Ausleihen jährlich sind in der Statistik vermerkt. Bernd Lerp und Mathias Gläser werden in der diesjährigen Ausleihsaison mit Sicherheit wieder dabei sein. Sie wissen nur noch nicht, in welche Richtung es gehen soll. Aber Stöbern ist ja gefragt in der Artothek. Der Kunde muss kommen. „Die Bilder gibt es nur hier“, sagt Lohmann und lächelt, „und zwar live und in Farbe.“

Ausstellungsraum mit wenigen Gemälden, weißen Wänden und drei schlichten schwarzen Bänken in der Mitte des Raumes
Restauratorin mit einem Bild im Museum Ostwall
Frau in einer Galerie mit Gemälden